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Erhöhung der Beweislast für Inhaber von Geschäftsgeheimnissen 

In unserem letzten Beitrag haben wir Ihnen einen Rückblick auf gute drei Jahre Geschäftsgeheimnisgesetz gegeben. Heute widmen wir uns den Urteilen zu dem neuen Gesetz, deren Auswirkung auf die Praxis  Sie kennen sollten.  

Mit der Einführung des Geschäftsgeheimnisgesetzes (GeschGehG) vor über drei Jahren wurden die Kriterien für das Vorhandensein und die Durchsetzung von Geschäftsgeheimnissen wesentlich überarbeitet. Informationen, die nicht öffentlich zugänglich sind und durch geeignete Schutzvorkehrungen gesichert werden, werden nun als Geschäftsgeheimnisse geschützt, gemäß § 2 Nr. 1 a) und b) GeschGehG. Es gilt das Prinzip: „Ohne entsprechende Schutzmaßnahmen, kein Geheimnis!“. Das Gesetz definiert jedoch nicht, welche Schutzmaßnahmen angemessen sind. Einige Gerichte gaben in neuerer Zeit wertvolle Hinweise zu diesem Thema. 

 1. Grundlage:  

Bei rechtlichen Auseinandersetzungen müssen Unternehmen nachweisen, dass sie geeignete Maßnahmen ergriffen haben, um ihre Geschäftsgeheimnisse zu schützen. Seit dem Inkrafttreten des GeschGehG stimmen die Gerichte im Großen und Ganzen darin überein, dass bei der Beurteilung der Angemessenheit der ergriffenen Schutzmaßnahmen verschiedene Faktoren, wie der Wert des Geschäftsgeheimnisses und dessen Entwicklungskosten, berücksichtigt werden sollten. Das OLG Hamm hat in seinem Urteil vom 15.09.2020 – 4 U 177/19 – [Flüsteraggregat]) klargestellt, dass die Angemessenheit ein dem Gedanken der Verhältnismäßigkeit folgendes, flexibles und offenes Tatbestandsmerkmal ist, welches sich nach den konkreten Umständen des Einzelfalls bestimmt.  

Erforderlich sind keine Geheimhaltungsmaßnahmen, die optimalen Schutz gewährleisten, da dies den Geheimhaltungsbegriff zu stark einschränken würde. Insofern ist kein absoluter, sondern ein relativer und dynamischer Maßstab anzulegen. Maßgebliche Sichtweise für die rechtliche Bewertung ist die eines objektiven, verständigen Betrachters aus den jeweiligen branchenspezifischen (Fach-)Kreisen. Das Gericht betont demnach die Bedeutung branchenüblicher Standards und führt folgende bei Bestimmung der Angemessenheit zu berücksichtigende Wertungskriterien auf: 

  • Art und wirtschaftlicher Wert des Geheimnisses: die Kosten der Geheimhaltungsmaßnahme müssen in einem vernünftigen Verhältnis zum Wert des Geschäftsgeheimnisses stehen (jedoch ohne Annahme eines starren Kosten-Wert-Verhältnisses), Das Merkmal „wirtschaftlicher Wert des Geheimnisses“ ist nach der bisherigen Gerichtspraxis keine hohe Hürde. Es genügt, dass ein wirtschaftlicher Wert erkennbar ist, dieser muss aber nicht besonders hoch sein.  
  • Wirtschaftsbranche & branchenübliche Sicherheitsmaßnahmen, 
  • Grad des Wettbewerbsvorteils durch die Geheimhaltung, 
  • Schwierigkeiten der Geheimhaltung und konkrete Gefährdungslage, 
  • Unternehmensgröße und Leistungsfähigkeit eines Unternehmens, 

 Hintergrund der Entscheidung war der Fall, dass ein weltweit agierendes Unternehmen, das über Jahrzehnte eine marktbeherrschende Stellung innehatte, versäumt hatte, Verstößen gegen die Geheimhaltung nachzugehen und einzelne Dateien des Unternehmens sogar ohne Geheimhaltungsmaßnahmen frei zugänglich waren. Das OLG Hamm betrachtete die vom Unternehmen ergriffenen Maßnahmen daher als nicht angemessen. 

Auch bei diesen vom Gericht aufgestellten Kriterien gibt es jedoch nach wie vor viele Unklarheiten und die Beurteilung im Einzelfall ist weiterhin selten völlig eindeutig. Aus dieser Unsicherheit kann zumindest der Grundsatz abgeleitet werden, dass Geheimnisinhaber gut beraten sind, wenn sie ein Schutzsystem aufstellen und dokumentieren und sich dabei eher an „lieber zu viel Schutz als zu wenig“ orientieren. Andernfalls riskieren sie, dass ihre Maßnahmen als nicht angemessen eingestuft werden und damit kein Schutz für ihr Geheimnis erreicht werden kann.  

 2. Aktuelle Rechtsprechung:

Jüngere Gerichtsentscheidungen gehen detaillierter auf die Gestaltung von Schutzmaßnahmen und die Beweisführung ein. Das Hauptaugenmerk liegt darauf, dass die ergriffenen Schutzmaßnahmen spezifisch für das betroffene Geschäftsgeheimnis nachgewiesen werden müssen. 

Unklarheit gab und gibt es insbesondere im Hinblick auf die Frage, wann eine „Geheimnisstreitsache“ vorliegt, das heißt in welchen Verfahren können Parteien beantragen, dass das Gericht Informationen als geheimhaltungsbedürftig einstuft. Natürlich wollen Parteien sich in Gerichtsverfahren umfassend verteidigen und dazu ist teilweise auch eine Offenlegung sensibler Daten notwendig. Gerade in Patentverfahren wurden in den letzten Jahren zahlreiche Anträge für eine gerichtliche Geheimnisschutzanordnung nach § 16 GeschGehG gestellt. Unklar ist, ob solche Anträge auch in Urheberrechtsverfahren oder Markenverfahren gestellt werden können. Durch § 145a PatG wurde für Patentverfahren eine klarstellende Verweisungsnorm beschlossen. In Bezug auf andere Verfahren fehlt eine klarstellende Regelung, so dass nicht eindeutig ist, ob in Urheberrechtsverfahren oder anderen Verfahren ein Anspruch auf gerichtliche Geheimnisschutzanordnung besteht.

a. Geeignete Schutzmaßnahmen

  • Das „Need to know-Prinzip“, welches besagt, dass nur bestimmte Mitarbeiter Zugang zu vertraulichen Informationen haben sollten, wird von den meisten Gerichten als grundlegende Schutzmaßnahme betrachtet (OLG Schleswig, Urteil vom 28.04.2022 – 6 U 39/21). 
  • Beim Hinweis auf technische Maßnahmen reicht ein allgemeiner Verweis auf IT-Richtlinien nicht aus (vgl. ArbG Aachen, Urteil vom 13.01.2022 – 8 Ca 1229/20). 
  • Das OLG Schleswig merkt an, dass Standard-TLS-Verschlüsselung bei E-Mails möglicherweise nicht ausreichend für besonders schützenswerte Geschäftsgeheimnisse ist (OLG Schleswig, siehe oben). 

b. Spezialfall: Reverse Engineering

 Das ArbG Aachen betont die Schwierigkeiten bei der Beweisführung in Fällen von Reverse Engineering (vgl. ArbG Aachen, Urteil vom 13.01.2022 – 8 Ca 1229/20). Wenn ein Geschäftsgeheimnis potenziell durch das legitime Zerlegen von Konkurrenzprodukten gewonnen werden könnte, betont das ArbG Aachen, dass der Besitzer des Geheimnisses detailliert nachweisen muss, dass sein Produkt auf nicht öffentlich zugänglichem Wissen basiert. Hierbei müssen insbesondere die spezifischen Merkmale der Produkte hervorgehoben werden. Denn nur durch einen vergleichenden Blick auf die Produkte können eventuelle Vorteile im Wissen gegenüber Mitbewerbern identifiziert werden. Diese Anforderung seitens des Arbeitsgerichts stellt eine erhebliche Beweisherausforderung für den Inhaber des Geschäftsgeheimnisses dar, die schwer zu erfüllen ist. 

Die Argumentation des Gerichts in diesem Urteil wirft Fragen auf. Während ein rechtmäßig durchgeführtes Reverse Engineering gemäß § 3 GeschGehG nicht als Verstoß gegen das Geschäftsgeheimnis gilt, muss klar differenziert werden, ob eine durch solche Analyse möglicherweise gewonnene Information allgemein zugänglich ist oder als Geschäftsgeheimnis einzustufen ist. Es wäre wünschenswert, dass oberste Gerichte diese rechtliche Interpretation im Sinne der Inhaber von Geschäftsgeheimnissen überdenken. 

 3. Schlussfolgerung:  

Die Rechtsprechung zum GeschGehG wird sich weiterentwickeln und präziser werden. Es wird jedoch immer komplizierter für Inhaber von Geschäftsgeheimnissen, die erforderliche Beweislast zu erfüllen. Generelle Aussagen zu Schutzmaßnahmen werden von den meisten Gerichten wahrscheinlich nicht mehr akzeptiert. Vor allem die im Jahr 2022 in zahlreichen Bundesländern neu etablierten Spezialkammern der Landgerichte werden wohl aufgrund individueller Fallerfahrung unterschiedliche bzw. teilweise auch strengere Anforderungen an die Darstellungen der Geheimnisinhaber haben. 

Unternehmen sollten daher in der Lage sein, die ergriffenen Schutzmaßnahmen für jedes Geschäftsgeheimnis im Streitfall nachzuweisen. Sie müssen spezifizieren, welche Personen Zugang zu den Geheimnissen haben. Dies betont die Notwendigkeit für Unternehmen, ein robustes Konzept zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen zu implementieren und entsprechende Dokumentationen bereitzuhalten. Ein solches Konzept sollte technische, organisatorische und vertragliche Aspekte umfassen und die Integration der Unternehmensmitarbeiter berücksichtigen. Ohne ein klar definiertes und effektives Schutzsystem können Geschäftsgeheimnisse an Wert verlieren und schwer zu verteidigen sein.  

Susanne Graeser, Karin Simon
SimonGraeser Rechtsanwalts PartG mbB

Susanne Graeser, Karin Simon
SimonGraeser Rechtsanwalts PartG mbB

Susanne Graeser, Rechtsanwältin bei SimonGraeser
Susanne Graeser, Rechtsanwältin bei SimonGraeser Intellectual Property Law
Porträt: Karin Simon
Karin Simon, Rechtsanwältin bei SimonGraeser Intellectual Property Law

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