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Notizen aus der Tagesarbeit: Keine Aufgabe, keine Lösung in einer Patentanmeldung – Pfeffersauce?

In letzter Zeit sind Europäische Patentanmeldungen in größerer Zahl über meinen Schreibtisch gegangen, deren Beschreibungen bemerkenswert lang und deren Zeichnungsfiguren bemerkenswert zahlreich waren und die “Ausführungsformen” von, nun ja, etwas, zu erklären versuchten, mit bemerkenswert wenig Worten zum vorbekannten Stand der Technik, zu einer Aufgabe, die gelöst werden solle, zur entsprechenden Lösung der Aufgabe und zu Vorteilen, die diese Lösung bieten würde. In jedem solchen Fall muss vor der Untersuchung des amtlich recherchierten Standes der Technik und der Entwicklung von Änderungen und Argumenten herausgefunden werden, was die mit der Patentanmeldung zu schützende Erfindung eigentlich sein soll. Eine Herausforderung, gelegentlich.

Die Sache mit der Aufgabe und der Lösung ist nicht neu. Das US-Patent 107,701 wurde am 27. September 1870 an Edmund McIlhenny erteilt, und zwar für eine „Verbesserung für eine Pfeffersauce“. Die Patentschrift offenbart wenig mehr als ein Rezept zum Herstellen der verbesserten Pfeffersauce. Ein Hinweis auf vorbekannten Stand der Technik ist eine kurze und sehr allgemein gehaltene Abhandlung über Aromen von Pfefferschoten der Varietäten Cayenne und Tabasco. Aromen und Geschmack von Pfeffersaucen aus solchen Pfefferschoten werden nicht besonders erwähnt. Nun gut, das US-Patent 107,701 ist lange erloschen, ohne dass allerdings die patentgemäße Pfeffersauce von den Märkten verschwunden wäre.

Kürzlich jedoch ist eine Art Pfeffersauce in den Verfahren vor dem Europäischen Patentamt aufgetaucht, nämlich in Form der Entscheidung T1520/19, welche eine Beschwerdekammer im Europäischen Patentamt erlassen hat. In dieser veröffentlichten Entscheidung geht es um eine Patentanmeldung, in der die Aufgabe nur derart vage beschrieben war, dass der entsprechenden Fachperson nicht möglich war zu verstehen, „welche spezielle Sache die beanspruchte Erfindung adressiere“ und „ob die beanspruchte Erfindung die einzige konkret beschriebene technische Aufgabe löse, unter welchen Umständen und in welchem Ausmaß“. Demnach hat die Beschwerdekammer entschieden, dass die Patentanmeldung gegen eine in Regel 42 (1) (c) EPÜ (Europäisches Patentübereinkommen) niedergelegte Vorschrift verstoße, wonach eine Erfindung so offenbart werden müsse, dass die technische Aufgabe, auch wenn sie nicht ausdrücklich als solche genannt ist, und deren Lösung verstanden werden können, wobei gegebenenfalls vorteilhafte Wirkungen der Erfindung unter Bezugnahme auf den bisherigen Stand der Technik anzugeben seien. Die Beschwerdekammer hat weiter entschieden, dass aufgrund Verletzung dieser Bestimmung die Patentanmeldung nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ beruhe. Somit hat die Beschwerdekammer die Beschwerde der Anmelderin zurückgewiesen und die vorangegangene Zurückweisung der Patentanmeldung durch die Prüfungsabteilung des Europäischen Patentamts bestätigt.

Hier steckt die Pfeffersauce: Mit der Zurückweisung der Patentanmeldung nicht nur wegen Nichterfüllung einer formalen Vorschrift der Regel 42 EPÜ, sondern mangels erfinderischer Tätigkeit des Artikels 56 EPÜ, erscheint diese Entscheidung als maßgeblich nicht nur für Prüfungsverfahren vor dem Europäischen Patentamt, sondern auch für dortige Einspruchsverfahren im Anschluss an die Erteilung eines Patents unter Art. 100 (a) EPÜ und sogar für spätere Nichtigkeitsverfahren unter Art. 138 (1) (a) EPÜ – wenn auch noch keine Meinung einer zuständigen Einspruchsabteilung im Europäischen Patentamt oder eines für Nichtigkeitsverfahren zuständigen Gerichts (in Deutschland des Bundespatentgericht, für die ganz neu eingeführten Gemeinschaftspatente das Gemeinsame Patentgericht der Europäischen Union) vorliegt.

Besonders kritisch an dieser Entscheidung ist auch ihre Betonung der Defizite in der Patentanmeldung selbst, nicht in den späteren Erklärungen der Anmelderin. Die scheint zu bedeuten, dass ein einmal vorhandenes Defizit in der ursprünglichen Offenbarung einer Patentanmeldung nicht zu einem späteren Zeitpunkt nachgebessert oder ergänzt werden kann, also während eines Prüfungs- Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahrens, wobei jedes Argument ohne Grundlage in der ursprünglichen Offenbarung wirkungslos bliebe.

Meine dringende Empfehlung an die Autorenschaft von Patentanmeldungen ist daher, immer wenigstens einige Anmerkungen einzubeziehen im Hinblick auf eine Aufgabe, die die Erfindung lösen solle und wie und wodurch die Erfindung die Aufgabe löst, und einige Gründe dafür anzugeben. Sollte sich in einem Verfahren Hinweise auf ein diesbezügliches Ungenügen verfestigen, dann könnte die letzte Rettung im Gutachten eines Sachverständigen über das, was eine entsprechende Fachperson der Patentanmeldung an Information entnehmen würde und dass diese Information zur Identifizierung einer ordentlichen Aufgabe und einer ordentlichen Lösung ausreicht. Viel Glück derjenigen Person, die es als Erste versucht, auf Anfrage gern mit meiner Unterstützung. Bitte melden Sie sich bei Interesse!

(alle Rechte vorbehalten)

Dr. Bernd Haberlander, Patentanwalt
Dr. Bernd Haberlander, Patentanwalt bei Patentanwaltskanzlei Hinkelmann

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