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Ist der deutsche Mittelstand weniger innovativ als Großunternehmen?

Eine Möglichkeit, die Innovationskraft verschiedener Unternehmen zu messen, besteht darin, die Anzahl der Patentanmeldungen zu betrachten. Patentanmeldungen sind ein genereller Indikator dafür, wie aktiv Unternehmen neue Ideen entwickeln und schützen.

Mehr als die Hälfte aller Beschäftigten in Deutschland arbeitet in kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs). So könnte man davon ausgehen, dass auch die Hälfte aller Patentanmeldungen auf KMUs entfällt. Allerdings stammt nur jede fünfte Patentanmeldung der von europäischen Anmeldern beim EPA eingereichten Patentanmeldungen von KMUs.

Ausgehend von dieser Zahlenbasis drängt sich die Frage auf, ob der deutsche Mittelstand weniger innovativ ist als Großunternehmen.

Bei der Analyse von Anmeldezahlen ist zu berücksichtigen, welche Ziele die jeweiligen Anmelder verfolgen. Manche Anmelder setzen gerade auf eine möglichst hohe Anzahl von Patenten.

Beispielsweise reichen manche Telekommunikationsunternehmen Patentanmeldungen ein, die Aspekte zukünftiger Telekommunikationsstandards abdecken. Die eigenen Patente sollen dann in einen Lizenzierungs-Pool eingebracht werden, um von jedem, der den zukünftigen Standard nutzt, Lizenzgebühren verlangen zu können. Je mehr eigene Patente in den Pool eingebracht werden, desto höher sind meist auch die Lizenzeinnahmen. KMUs sind üblicherweise nicht an der Entwicklung derartiger komplexer Telekommunikationsstandards und entsprechender Lizenz-Pools beteiligt.

Je größer das angebotene Produktportfolio eines Unternehmens, desto größer auch die Wahrscheinlichkeit, dass bestehende Schutzrechte Dritter verletzt werden. Allein in Deutschland sind aktuell über 900.000 Patent wirksam, sodass Unternehmen mit vielen Produkten regelmäßig damit rechnen müssen, Patente von Konkurrenten zu verletzen.

Um im Fall einer etwaigen Verletzungsklage entsprechende Gegenklagen geltend zu machen bzw. eine möglichst gute Verhandlungsbasis zu sichern, zielen einige Großunternehmen darauf ab, den relevanten Marktbereich mit möglichst vielen Sperrpatenten abzudecken, insbesondere auch für Technologien, die in den eigenen Produkten nicht eingesetzt werden. KMUs fokussieren sich hingegen meist auf eine kleinere Produktpalette, sodass es diesen genügen würde, Sperrpatente auf einen kleineren Marktbereich zu fokussieren. Hinzu kommt, dass KMUs auch aus Kostengründen seltener Sperrpatente zur Behinderung der Konkurrenten verfolgen, sondern sich eher auf den Schutz der eigenen Produkte fokussieren, um Nachahmern beizukommen.

Neben einer reinen Betrachtung von Patentanmeldungszahlen sollte auch die Qualität der Patentanmeldungen bzw. die Tragweite der jeweiligen Erfindungen berücksichtigt werden. Während Massenanmelder auch für kleinere Verbesserungen eigene Patentanmeldungen einreichen, sind KMUs meist zurückhaltender. Letztere melden üblicherweise nur solche Erfindungen zum Patent an, die für „signifikant erfinderisch“ gehalten werden und über kleinere Verbesserungen bestehender Lösungen hinausgehen. Viele Aspekte werden auch als Know-how geheim gehalten.

Nicht zuletzt gehen die oben genannten Zahlen von Europäischen Patentanmeldungen aus, die von KMUs eingereicht wurden. Zum Anteil von Deutschen Patentanmeldungen, die auf KMUs entfallen, ist dem Autor keine Statistik bekannt. Da Europäische Patentanmeldungen mit deutlich höheren Amtsgebühren einhergehen wie Deutsche Patentanmeldungen, kann davon ausgegangen werden, dass KMUs verglichen mit Großunternehmen häufiger nationale Anmeldungen einreichen.

Fazit:

Es lässt sich feststellen, dass die reine Betrachtung der Anzahl von Patentanmeldungen keinen direkten Rückschluss auf die Innovationskraft der jeweiligen Unternehmen zulässt. Weitere Faktoren wie z.B. die Anmeldestrategie, die Qualität der Patente, der Anteil von Patenten im relevanten Marktsegment und die Generierung von geheim gehaltenem Know-how spielen hierbei ebenfalls eine Rolle.

Aufgrund der vielen “Hidden Champions” aus dem Deutschen Mittelstand, die in den jeweiligen Nischenbereichen weltweit führend sind, ist trotz der genannten relativ geringen Anmeldezahlen davon auszugehen, dass es gerade diese Unternehmen sind, die durch hohe Innovationskraft ihre marktbeherrschende Stellung erlangt haben. Es sollten für KMUs weitere Anreize geschaffen werden, ihre Erfindungen auch schutzrechtlich absichern, denn so kann sich der Deutsche Mittelstand im globalen Wettbewerb langfristig behaupten.

Porträt: Jakob Schott
Jakob Schott, Rechtsanwalt bei Wuesthoff & Wuesthoff

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