Eigentlich ist es ein recht geläufiges Ereignis: Auf die Beanstandung eines (unabhängigen) Patentanspruchs im Prüfungsverfahren wird dieser dadurch geändert, dass ihm ein Merkmal, das nur in der ursprünglich eingereichten Beschreibung offenbart war, hinzugefügt wird. Eine jedenfalls unter Art. 123 (2) des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ), der die Änderung eines Patentanspruchs auf in besagter ursprünglicher Beschreibung offenbarte Merkmale beschränkt, zulässige Maßnahme. Seit kurzem sind in mehreren Fällen in der Praxis des Autors solche Änderungen unter Regel 137 (5) EPÜ beanstandet worden, jeweils gestützt auf die in kurzen Worten vorgetragene Angabe, dass das hinzugefügte Merkmal im Rahmen der Internationalen Recherche nicht recherchiert worden sei und deshalb nicht in den Patentanspruch aufgenommen werden dürfe. Was ist da los, und was wäre zu tun?
Eine einfache Antwort ist schnell gefunden: Man mache den beanstandeten Patentanspruch zum Gegenstand einer Europäischen Teilanmeldung, für die die ausgebliebene Recherche dann nachgeholt und die Beanstandung damit gegenstandslos wird. Allerdings ist eine solche Teilanmeldung nicht umsonst, denn es fallen unter anderem Anmeldegebühr, Recherchengebühr und Prüfungsgebühr in Höhe von insgesamt € 3570 (Stand April 2024) zuzüglich Aufwand an, wobei mit einer Reduzierung oder gar Erstattung der Recherchengebühr nicht zu rechnen ist.
Eine andere Antwort ist diese: Man bringe den Fall mit einer Beschwerde vor die zuständige Beschwerdekammer, was eine Beschwerdegebühr von € 2925 (Stand April 2024) zuzüglich Aufwand und Verzögerung erfordert, eine Alternative also, deren Hauptnachteile Verzögerung und Ungewissheit sind, bei mehr oder weniger vergleichbaren Kosten, wobei die Ungewissheit allerdings die Aussicht beinhaltet, bei Scheitern der Beschwerde doch und mit weiteren Kosten die Teilanmeldung einreichen zu müssen.
Um im Einzelfall die bestmögliche Entscheidung treffen zu können, werden nachfolgend die maßgeblichen rechtlichen Grundlagen in den Bestimmungen des EPÜ und der Rechtsprechung der Beschwerdekammern im Europäischen Patentamt (EPA) untersucht. Grundlagen dieser Untersuchung sind das EPÜ in seiner aktuellen Fassung und die aktuelle Zusammenstellung „Rechtsprechung der Beschwerdekammern“ wie sie online auf der Website des EPA zugreifbar sind.
Art. 92 EPÜ definiert die grundlegenden Bedingungen für die Europäische Recherche. Demnach erstellt und veröffentlicht das EPA einen europäischen Recherchenbericht zu jeder europäischen Patentanmeldung auf der Grundlage der Patentansprüche unter angemessener Berücksichtigung der Beschreibung und der evtl. vorhandenen Zeichnungen, und dies nach Maßgabe der Ausführungsordnung zum EPÜ. Darin sind vor allem die Regeln 61 bis 66 EPÜ maßgeblich. Darin erweist sich die Grundlage des oben dargestellten Konflikts: Das EPA erstellt den Recherchenbericht, und es tut dies in der Regel ohne vorherige Abstimmung mit dem Anmelder, entsprechend der traditionellen Praxis der weltweit verteilten Patentämter. Ein Anmelder ist allerdings nicht gehindert, dem Patentamt Dokumente, die zum Stand der Technik gehören, mitzuteilen, zum Beispiel durch Erwähnung solcher Dokumente in der Patentanmeldung. Zu einer Europäischen Patentanmeldung können auch Dritte Stand der Technik zur Berücksichtigung mitteilen, zum Beispiel im Rahmen einer „Einwendung Dritter“ wie vorgesehen in Art. 115 EPÜ.
Nach Art. 92 EPÜ erfolgt die Recherche „auf der Grundlage der Patentansprüche“. Durch Einreichung entsprechender Patentansprüche bestimmt der Anmelder somit den Umfang der Recherche, womit den Patentansprüchen neben der Definition des Gegenstandes, der durch das beantragte Patent unter Schutz gestellt werden soll, eine Funktion zum Bestimmen des Umfangs der Recherche zukommt. Man darf annehmen, dass das aktuell praktizierte, traditionelle Verfahren der Recherche den Interessen sowohl des Anmelders als auch der Öffentlichkeit genügend Rechnung trägt – Diskussionen über Qualität der Recherchen nicht ausgeschlossen.
Nach Art. 92 EPÜ erfolgt die Recherche „unter angemessener Berücksichtigung der Beschreibung und der vorhandenen Zeichnungen“. Dies reflektiert die Auslegungsregel für den Schutzbereich eines Europäischen Patents nach Art. 69 EPÜ, wonach Beschreibung und Zeichnungen einer Patentanmeldung jedenfalls so weit herangezogen werden müssen, wie es zum Ermitteln des wirklichen Inhalts der Patentansprüche notwendig ist. Dies erfordert nicht, dass eine Weiterbildung einer Erfindung, die sich in den Patentansprüchen nicht wiederfindet, bei der Recherche berücksichtigt wird, was die Entscheidung T 708/00 einer Beschwerdekammer bestätigt.
Hinsichtlich der oben aufgeführten Fragen folgt, dass die bloße Nichtberücksichtigung einer solchen Weiterbildung im Rahmen der Recherche nicht schon impliziert, dass die Weiterbildung uneinheitlich mit der in den recherchierten Patentansprüchen definierten Erfindung ist. Die Nichtberücksichtigung dieser Weiterbildung ist ohne Weiteres verträglich mit den Anforderungen des Art. 92 EPÜ, und erst dann, wenn diese Weiterbildung zu einem späteren Zeitpunkt in die Patentansprüche aufgenommen wird, kann und muss sie auf die Erfüllung aller Patentierungsvoraussetzungen einschließlich des Einheitlichkeitskriteriums in Art. 82 EPÜ geprüft werden, wobei dem Anmelder nach Art. 113 (1) EPÜ eine Gelegenheit zur Äußerung gegeben werden muss.
In drei Fällen allerdings stellt das EPA vor der Durchführung einer Recherche entgegen der üblichen Praxis eine Rückfrage beim Anmelder:
- Sind mehrere unabhängige Patentansprüche vorhanden, die nicht den Bestimmungen der Regel 43 (2) EPÜ entsprechen (einer Anforderung, die unabhängigen Patentansprüche möglichst knapp zu fassen), so fordert das EPA gemäß Regel 62a EPÜ den Anmelder auf, die Patentansprüche anzugeben, auf welche die Recherche gestützt werden soll, mit der Konsequenz, dass die spätere Prüfung auf Patentfähigkeit auch nur für diese Patentansprüche erfolgt.
- Entspricht die europäische Patentanmeldung dem EPÜ so wenig, dass es unmöglich ist, auf der Grundlage des gesamten beanspruchten Gegenstands oder eines Teils desselben eine sinnvolle Recherche über den Stand der Technik durchzuführen, so fordert das EPA den Anmelder gemäß Regel 63 EPÜ auf, eine Erklärung mit Angaben zu dem zu recherchierenden Gegenstand abzugeben mit der Konsequenz, dass, falls möglich, die Recherche auf diesen Gegenstand beschränkt wird und die spätere Prüfung auf Patentfähigkeit auch nur für auf diesen Gegenstand beschränkte Patentansprüche erfolgt.
- Entspricht die Patentanmeldung – nach dem oben Gesagten also entsprechen ihre Patentansprüche – nicht den Anforderungen an die Einheitlichkeit der Erfindung gemäß Art. 82 EPÜ, so erstellt das EPA einen teilweisen Recherchenbericht für die Teile der Anmeldung, die sich auf die in den Patentansprüchen zuerst erwähnte Erfindung oder Gruppe von Erfindungen im Sinne des Art. 82 EPÜ beziehen. Es teilt außerdem dem Anmelder gemäß Regel 64 EPÜ mit, dass für jede weitere Erfindung eine weitere Recherchengebühr zu entrichten ist, wenn der Europäische Recherchenbericht diese Erfindung erfassen soll. Der Europäische Recherchenbericht wird für die Teile der Anmeldung erstellt, die sich auf die Erfindungen beziehen, für die Recherchengebühren entrichtet worden sind. Die Aufforderung zur Zahlung weiterer Recherchengebühren ist eine gebührenpflichtige Dienstleistung des EPA, denn gemäß Art. 82 EPÜ darf nur eine einzige Erfindung oder Gruppe zusammenhängender Erfindungen zum Patent gebracht werden. Jede weitere Erfindung muss – wie durch die Große Beschwerdekammer im EPA in der Entscheidung G2/92 bestätigt – in einer separat einzureichenden Teilanmeldung gemäß Art. 76 EPÜ verfolgt werden, wobei gemäß Art. 9 (2) der Gebührenordnung zum EPÜ eine Rückerstattung der – zunächst zu zahlenden – Recherchengebühr erwarten werden darf.
Die Konsequenzen, welche im Rahmen der Recherche zu einer Europäischen Patentanmeldung aufgetretene Umstände im Hinblick auf Änderungen der Patentanmeldung im auf die Recherche folgenden Prüfungsverfahren haben, bestimmt Regel 137 EPÜ, und besonders deren fünfter Absatz. In der Sammlung „Entscheidungen der Beschwerdekammern“ ist diese Regel abgehandelt im Kapitel IV B, Nr. 5.
Regel 137 (5) EPÜ, erster Satz, schließt Änderungen aus, die sich auf „nicht recherchierte Gegenstände beziehen, die mit der ursprünglich beanspruchten Erfindung oder Gruppe von Erfindungen nicht durch eine einzige allgemeine erfinderische Idee verbunden sind“. Dieser Satz zitiert wörtlich das Kriterium der Einheitlichkeit des Art. 82 EPÜ und weitet dieses dahin aus, dass eine Änderung im Prüfungsverfahren nicht so weit gehen darf, dass die ursprüngliche Erfindung durch eine andere, nicht recherchierte, ersetzt wird. Erlaubt ist es, Änderungen auf eine andere Erfindung zu richten, für die eine zusätzliche Recherchengebühr bezahlt worden ist. Ausgeschlossen ist eine andere Erfindung, die nur in der Beschreibung offenbart ist und demnach nicht Gegenstand der Recherche war.
Hier liegt ein Ansatzpunkt für die Beanstandung einer Änderung auf der Grundlage nur in der Beschreibung offenbarter Merkmale, wobei das entscheidende Kriterium die Uneinheitlichkeit der neu einzufügenden Merkmale mit der ursprünglich beanspruchten Erfindung ist. Die Entscheidungen T 708/00 und T1866/15 der Beschwerdekammern setzen Negativkriterien: Nach T 708/00 und T1866/15 ist ein neu hinzugefügtes Merkmal unzulässig, für das, wenn es in den ursprünglichen Patentansprüchen enthalten gewesen wäre, eine zusätzliche Recherchengebühr angefordert worden wäre. Nach T 1866/15 wäre auch ein Merkmal unzulässig, dessen Wirkung in keinem wie auch immer gearteten Zusammenhang mit den Wirkungen der Merkmale der ursprünglichen Patentansprüche steht. Die Entscheidungen T264/09, T274/03 und T1520/14 setzen Positivkriterien: Nach T264/09 und T274/03 ändert die Übernahme eines nicht recherchierten Merkmals, das etwas näher definiert, was bereits Teil eines recherchierten Patentanspruchs war, aus der Beschreibung einen Patentanspruch übernommen wurde, um einen Einwand nach dem EPÜ (z. B. mangelnde erfinderische Tätigkeit) zu entkräften, so ist der sich daraus ergebende Anspruch nicht in der Weise geändert worden, dass er sich auf einen nicht recherchierten Gegenstand bezieht, der mit der ursprünglich beanspruchten Erfindung nicht durch eine einzige allgemeine erfinderische Idee verbunden ist. Nach T1520/14 ist es als eindeutig absehbar anzusehen, dass die Erfindung für einen Zweck oder ein Anwendungsgebiet beansprucht werden könnte, wenn in der Beschreibung mehrfach die Nützlichkeit der Erfindung für diesen Zweck oder zur Anwendung auf diesem Gebiet betont wird.
Regel 137 (5) EPÜ, zweiter Satz, schließt Änderungen der Patentansprüche aus, die sich auf „auf gemäß Regel 62a oder Regel 63 nicht recherchierte Gegenstände beziehen“. Es ist demnach nicht möglich, auf ursprüngliche Patentansprüche zurückzugreifen, die wegen Verstoß gegen Regel 43 (2) EPÜ oder wegen Unmöglichkeit einer sinnvollen Recherche nicht recherchiert worden sind. Nach der Entscheidung T 274/03 ist der Anmelder daran gehindert, in Erwiderung auf einen Bescheid der Prüfungsabteilung auf nicht recherchierte Teile einer Anmeldung zu wechseln.
Die eingangs gestellten Fragen tauchen in der Zusammenstellung „Rechtsprechung der Beschwerdekammern“ nicht direkt auf und sind somit wohl noch nicht vor einer Beschwerdekammer erörtert worden. Es ist demnach denkbar, einen geeigneten Fall mit einer Beschwerde vor die zuständige Beschwerdekammer zu bringen. In einem solchen geeigneten Fall sollte klargestellt sein, dass ein Einwand, betreffend „nicht recherchierte Gegenstände…, die mit der ursprünglich beanspruchten Erfindung oder Gruppe von Erfindungen nicht durch eine einzige allgemeine erfinderische Idee verbunden sind“ nicht sinnvoll erhoben werden kann, wozu gegebenenfalls Verweise auf die Positivkriterien der Entscheidungen T264/09, T274/03 und T1520/14 vorgebracht werden können, um zu verhindern, dass die Beschwerde an einem solchen Einwand scheitert.
Es ergeben sich damit folgende Ergebnisse im Hinblick auf die Änderung eines Patentanspruchs durch nur in der Beschreibung offenbarte Merkmale:
- Regel 137 (5) EPÜ erlaubt eine Beanstandung einer Änderung, durch die ein Patentanspruch durch nur in der Beschreibung offenbarte Merkmale derart geändert wird, nicht allein deshalb, weil die Merkmale der Änderung im Rahmen der Recherche nicht berücksichtigt wurden.
- Regel 137 (5) EPÜ erlaubt eine Beanstandung einer Änderung, durch die ein Patentanspruch durch nur in der Beschreibung offenbarte Merkmale derart geändert wird, dass der neue beanspruchte Gegenstand mit der ursprünglich beanspruchten Erfindung oder Gruppe von Erfindungen nicht durch eine einzige allgemeine erfinderische Idee verbunden ist, also wenn der geänderte Patentanspruch auf eine von der vorherigen Erfindung, auf die er gerichtet war, verschiedene Erfindung gerichtet ist.
- Bislang haben die Beschwerdekammern im EPA die hier betrachtete Fragestellung noch nicht behandelt. Eine Beschwerde kann in einem geeigneten Fall eingelegt werden. Sie unterliegt einem Risiko des Scheiterns für den Fall, dass ein Einwand mangelnder Verbindung zwischen der ursprünglich beanspruchten Erfindung und dem Gegenstand des geänderten Patentanspruchs durch eine einzige allgemeine erfinderische Idee erhoben werden kann.
Großer Besorgnis dahingehend, dass die Beanstandung eines geänderten Patentanspruchs gestützt auf die in kurzen Worten vorgetragene Angabe, dass das hinzugefügte Merkmal im Rahmen der Internationalen Recherche nicht recherchiert worden sei und deshalb nicht in den Patentanspruch aufgenommen werden dürfe, zur Erhöhung der Zahl der gebührenpflichtigen Teilanmeldungen beim EPA gebraucht werden könnte, bedarf es nach obiger Untersuchung wohl nicht. Eine solche Beanstandung erfordert eine ausführliche Darlegung der Prüfungsabteilung, dass der neu beanspruchte Gegenstand eine andere Erfindung als die ursprünglich beanspruchte ist.
Eine abschließende Klärung durch die Beschwerdekammern im EPA steht noch aus. Diese Klärung müsste erfolgen durch Einlegung einer Beschwerde im Fall einer Änderung eines Patentanspruchs durch Aufnahme eines nur in der Beschreibung offenbarten Merkmals, in dem allerdings – vorzugsweise unter Vergewisserung, dass eines der oben aufgezeigten Positivkriterien erfüllt ist – sichergestellt ist, dass der neu beanspruchte Gegenstand keine andere Erfindung als die ursprünglich beanspruchte ist.
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