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„Unterlassen“ heißt (nur) unterlassen, oder?

Fast jedes Unternehmen ist früher oder später mit der Situation konfrontiert, dass ihm durch eine gerichtliche Entscheidung ein bestimmtes Verhalten untersagt wird. Der entsprechende Tenor einer solchen gerichtlichen Entscheidung besagt typischerweise, dass das Unternehmen es zu unterlassen habe, ein bestimmtes Produkt anzubieten oder in einer bestimmten Art und Weise zu werben. Aber was heißt „unterlassen“ in diesem Zusammenhang? Tatsächlich steckt in dem Wort mehr, als man auf den ersten Blick annimmt.

  1. Unterlassungsanspruch und Unterlassungstenor

Im Falle der Verletzung gewerblicher Schutzrechte (Marken, Designs usw.) und bei Wettbewerbsverstößen stehen dem Betroffenen (unter anderem) Unterlassungsansprüche zu. So lautet beispielsweise § 8 Abs. 1 UWG (Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb):

„Wer eine nach § 3 oder § 7 unzulässige geschäftliche Handlung vornimmt, kann auf Beseitigung und bei Wiederholungsgefahr auf Unterlassung in Anspruch genommen werden.“

Ist ein Produkt selbst rechtsverletzend (und nicht nur die Werbung dafür) wird regelmäßig das weitere Anbieten und Inverkehrbringen dieses Produktes untersagt. Ein typischer Unterlassungstenor einer gerichtlichen Entscheidung lautet:

„Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr als Spirituosen gekennzeichnete Produkte unter der Bezeichnung ‚RESCUE TROPFEN‘ zu bewerben und/oder zu vertreiben.“ (BGH GRUR 2017, 208 – Rescue-Tropfen).

Wenn wie in diesem Beispiel nicht eine Werbung, sondern ein bestimmtes Produkt (bzw. dessen konkrete Aufmachung) Gegenstand der gerichtlichen Entscheidung ist, stellt sich die Frage, wie weit der Unterlassungstenor reicht. Genügt es, einfach den weiteren Vertrieb zu „unterlassen“ (wie der Wortlaut des Tenors nahelegt) und selbst keine entsprechenden Produkte mehr in den Verkehr zu bringen? Oder verlangt die Entscheidung mehr?

  1. Unterlassung umfasst nach der neueren Rechtsprechung des BGH grundsätzlich auch den Rückruf

Tatsächlich geht die Unterlassungspflicht aus gerichtlichen Entscheidungen nach der neueren Rechtsprechung des BGH weiter als der Wortlaut erkennen lässt.

Die Rechtsprechung hatte schon lange angenommen, dass die Verpflichtung zur Unterlassung einer Handlung, durch die ein fortdauernder Störungszustand geschaffen wurde, auch die Beseitigung dieses Störungszustands umfasst, wenn die Nichtbeseitigung dieses Zustands gleichbedeutend mit der Fortsetzung der Verletzungshandlung ist. Wem verboten wird, im geschäftlichen Verkehr unter einen bestimmten Unternehmensnamen aufzutreten, ist danach beispielsweise verpflichtet, auch ein entsprechendes Firmenschild abzubauen. Wem eine bestimmte Werbeaussage verboten wird, der muss diese Aussage (aktiv) von seiner Website entfernen.

In der Entscheidung „Rescue-Tropfen“ (GRUR 2017, 208) ist der BGH aber noch einen Schritt weiter gegangen und hat entschieden, dass eine Unterlassungsverpflichtung auch die Verpflichtung beinhaltet, „im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren“ auf Dritte einzuwirken, soweit das zur Beseitigung des Störungszustands erforderlich ist.

Zwar hält der BGH an dem Grundsatz fest, dass der Schuldner eines Unterlassungsanspruchs grundsätzlich nicht für das selbstständige Handeln Dritter verantwortlich ist. Er muss aber auf Dritte, deren Handeln ihm wirtschaftlich zugutekommt und auf die er einen gewissen Einfluss hat, einwirken, soweit dies zur Beseitigung eines fortdauernden Störungszustands erforderlich ist. Ein Schuldner, dem gerichtlich untersagt worden ist, ein Produkt mit einer bestimmten Aufmachung zu vertreiben muss danach grundsätzlich durch einen Rückruf des Produkts dafür sorgen, dass bereits ausgelieferte Produkte von seinen Abnehmern nicht weiter vertrieben werden (BGH GRUR 2017, 208 – Rescue-Tropfen).

Diesen Grundsatz hat der BGH – trotz verbreiteter Kritik – in mehreren weiteren Entscheidungen bestätigt (z.B. BGH GRUR 2017, 823 – Luftentfeuchter; GRUR 2018, 292 – Produkte zur Wundversorgung).

  1. Was bedeutet „Rückruf“?

Wer mit einer einstweiligen Verfügung oder einem Unterlassungsurteil konfrontiert ist, darf sich danach also nicht darauf beschränken, das verbotene Produkt selbst nicht weiter zu vertrieben. Er muss vielmehr auch auf seine (gewerblichen) Abnehmer einwirken, damit diese das Produkt ebenfalls nicht weiter anbieten.

Der BGH erkennt zwar, dass ein Rückruf in vielen Fällen rechtlich gar nicht möglich ist. Wenn ein Produkt an einen Abnehmer veräußert worden ist, hat der Verkäufer regelmäßig keine rechtliche Handhabe, das Produkt zurückzufordern. In einer solchen Situation ist der der Schuldner aber zumindest verpflichtet, gegenüber seinen Abnehmern „mit Nachdruck und Ernsthaftigkeit sowie unter Hinweis auf den rechtsverletzenden Charakter der Erzeugnisse deren Rückerlangung zu versuchen“ (BGH GRUR 2018, 292, Rz. 32 – Produkte zur Wundversorgung). Er muss seine Abnehmer also zumindest über das gerichtliche Verbot informieren und ihnen deutlich von einem weiteren Vertrieb abraten (sowie sich bereit erklären, die Produkte zurückzunehmen).

Kann der Schuldner im Streitfall nicht nachweisen, dass er solche „ernsthafte und nachdrückliche“ Versuche unternommen hat, um den weiteren Vertrieb der rechtsverletzenden Produkte durch seine Abnehmer zu verhindern, verstößt er gegen die ihm auferlegte Unterlassungspflicht und riskiert, dass das Gericht ein Ordnungsgeld gegen ihn verhängt.

  1. Was ist bei einem Unterlassungsurteil oder einer einstweiligen Verfügung zu tun?

Wer sich mit einem gerichtlichen Verbot konfrontiert sieht, muss also genau prüfen, welche Verpflichtungen aus dem Verbot folgen. Insbesondere muss er prüfen, ob und inwieweit er über das bloße Unterlassen weiterer verletzender Handlungen hinaus aktiv werden und an seine Abnehmer herantreten muss. Da all das aus dem Wortlaut eines Verbotstitel selbst nicht erkennbar ist, empfiehlt es sich, in einer solchen Situation einen im gewerblichen Rechtsschutz und Wettbewerbsrecht erfahrenen Anwalt hinzuziehen. Das verursacht zwar Kosten. Die Kosten eines Ordnungsgelds im Falle eines Verstoßes gegen ein gerichtliches Verbot sind aber regelmäßig deutlich höher (bei einem ersten Verstoß regelmäßig mindestens 5.000 EUR, bei wiederholten Verstößen auch deutlich mehr), und das Argument, man habe nicht gewusst, dass ein Unterlassungsgebot auch einen Rückruf beinhalten kann, lassen die Gerichte nicht gelten.

Autor:

Porträt: Jan Peter Heidenreich
Dr. Jan Peter Heidenreich, Rechtsanwalt bei Preu Bohlig & Partner Rechtsanwälte mbB

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