www.fit4ip.com
Alle NewsBranchennews

Medizinische Patente – pharmazeutische Stoffe und Stoffgemische (Teil 1)

Mit über 15.000 neueingereichten Europäischen Patentanmeldungen im vergangen Jahr bildet die Medizintechnik das zweitgrößte technische Gebiet im gewerblichen Rechtschutz in Europa. Ebenso ist das Gebiet der Arzneistoffe über viele Jahre hinweg eines der anmeldungsstärksten technischen Gebiete in Europa (5. Rang 2022). Die hohen Anmeldezahlen belegen die hohe Innovationskraft und den großen Stellenwert von Patenten im medizinischen Bereich.

Dieser zwei-teilige Artikel beleuchtet die Patentierbarkeitsvoraussetzungen für medizinische Innovationen und geht dabei auf die zu beachtenden Besonderheiten ein. Der erster Teil befasst sich dabei mit dem Patentausschluss für Behandlungsverfahren und der Patentierung von pharmazeutischen Stoffen und Stoffgemischen.

Ausschluss medizinischer Behandlungsverfahren von der Patentierbarkeit in Europa

Grundsätzlich steht der Patentschutz sowohl Produkten, d.h. körperlich Erzeugnissen, wie auch Verfahren offen. Medizinprodukte, also beispielsweise Geräte und Vorrichtungen, wie auch Stoffe und Stoffgemische, beispielsweise Medikamente, die in medizinischen Verfahren mit Medizinprodukten verwendet bzw. angewendet werden, genießen eine hohe patentrechtliche Relevanz.

Der Patentschutz ist in Europa auch Verfahren betreffend Medizinprodukte, wie beispielsweise Herstellungsverfahren, zugänglich. Eine Ausnahme besteht jedoch für medizinische Verfahren, die am lebenden menschlichen oder tierischen Körper durchgeführt werden.

Der Grund hierfür ist, dass Patente nicht die Freiheit von Human- und Veterinärmedizinern einschränken dürfen, um ihren Patienten die beste Behandlung zu ermöglichen. Somit sind Verfahren zur chirurgischen und/oder therapeutischen Behandlung des lebenden menschlichen oder tierischen Körpers und Diagnostizierverfahren, die am lebenden menschlichen oder tierischen Körper vorgenommen werden, vom Patentschutz in Europa und in vielen anderen Ländern, mit Ausnahme der USA, ausgeschlossen.

Patentierbarkeit von Stoffen bzw. Stoffgemischen

Neue Stoffe und Stoffgemische, die synthetisch hergestellt oder aus der Natur isoliert werden, sind als solche stets patentierbar. Bekannte Stoffe bzw. Stoffgemische, die erstmals in der Medizin angewendet werden (erste medizinische Indikation) oder für eine weitere neue medizinische Indikation (weitere medizinische Indikation) verwendet werden, sind ebenfalls patentierbar. Neuheit bzw. erfinderische Tätigkeit werden hier durch eine neue und nicht-naheliegende Verwendung in der Medizin bzw. für die Behandlung einer spezifischen Erkrankung begründet.

Dies stellt eine Besonderheit für die medizinische Verwendungen von Stoffen bzw. Stoffgemischen dar. Eine nicht-medizinische neue Verwendung eines bekannten Stoffes bzw. Stoffgemisches kann keine Patentfähigkeit begründen. Auch ist die Abgrenzung vom Stand der Technik durch das Spezifizieren der medizinischen Verwendung bei medizinischen Geräten und Vorrichtungen nicht möglich.

Beispiel für einen Stoffanspruch bei erster medizinischer Verwendung:

Stoff(gemisch) A zur Verwendung als Medikament

[wenn A aus dem Stand der Technik bekannt ist, z. B. als Herbizid]

Beispiel für einen Stoffanspruch bei einer weiteren medizinischen Verwendung:

Stoff(gemisch) A zur Verwendung bei der Behandlung von Krebs

[wenn A aus dem Stand der Technik als Medikament zur Behandlung einer anderen Erkrankung wie Schmerz bereits bekannt ist]

Fazit

Im Bereich der Medizin sind Stoffe, Stoffgemische, Erzeugnisse und Geräte dem Patentschutz zugänglich, sofern diese neu und erfinderisch sind. Medizinische Behandlungsverfahren am lebenden Menschen und Tier sind in Europa wie in vielen anderen Ländern auch vom Patentschutz ausgeschlossen.

Für Stoffe neue Stoffgemische besteht die Besonderheit, dass eine neue und nicht naheliegende Verwendung (medizinische Indikation) eines bereits bekannten Stoffes Neuheit und erfinderische Tätigkeit begründen kann und somit die Patentierbarkeitsvoraussetzungen erfüllen kann.

 

Autor:

Dr. Andreas Keymer

Anwalt für Deutsches und Europäisches Patentrecht bei

V.O. Patents & Trademarks

 

 

Related posts

Medizinische Patente – medizinische Geräte und Vorrichtungen (Teil 2)

ismajli

„Unterlassen“ heißt (nur) unterlassen, oder?

ismajli

Globale Anwaltskanzlei Nixon Peabody geht mit Anaquas umfassender IP-Management Suite live

ismajli