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Medizinische Patente – medizinische Geräte und Vorrichtungen (Teil 2)

Im vorausgegangen ersten Teil dieses zweit-teiligen Artikels zum Patentschutz von medizinischen Innovation haben wir uns der Patentierbarkeit von pharmazeutischen Stoffen und Stoffgemischen gewidmet. Im nachfolgenden zweiten Teil wird auf den Patentschutzes für medizinische Geräte und Vorrichtungen eingegangen und auf die bestehenden Besonderheiten aufmerksam gemacht.

Patentierbarkeit medizinischer Geräte und Vorrichtungen – wo verlaufen die Grenzen?

Die Abgrenzung vom Stand der Technik durch das Spezifizieren der medizinischen Verwendung entsprechend Stoffen bzw. Stoffgemischen ist bei medizinischen Geräten und Vorrichtungen nicht möglich. Gleichwohl kann eine neue Verwendung eines bekannten Geräts bzw. einer bekannten Vorrichtung auf Grund einer bestimmten Funktion neu und erfinderisch sein.

Deshalb werden medizinische Geräte bzw. Vorrichtungen häufig nicht nur durch strukturelle Merkmale, d. h. die Bauteile des Geräts bzw. der Vorrichtung, sondern auch durch sog. funktionelle Merkmale definiert. Solche Merkmale beschreiben beispielsweise die Interaktion der Bauteile miteinander, die Position der Bauteile zueinander und/oder in Bezug auf einen Gegenstand bzw. ein Subjekt, bei dem das Gerät bzw. die Vorrichtung Anwendung findet.

So kann durch die Aufnahme funktioneller Merkmale in den Patentanspruch die Erfindung von einem vorbekannten Gerät aus dem Stand der Technik abgegrenzt werden.

Beispiel für einen Patentanspruch mit funktionellen Merkmalen (kursiv angegeben):

„Infusionsgerät zur Abgabe einer Flüssigkeit unter Druck mit vorgegebener Durchflussgeschwindigkeit, bestehend aus einem röhrenförmigen Gehäuse, einem Stopfen mit durchgehender Öffnung, der an einem Gehäuseende angebracht ist, einem im Gehäuse axial verschiebbaren Kolben, einer röhrenförmigen Elastomerblase zur Aufnahme und Speicherung der unter Druck stehenden Flüssigkeit, wobei die Enden der Blase mit dem Stopfen bzw. dem Kolben dicht verbunden sind und der Hohlraum der Blase mit der Öffnung im Stopfen kommuniziert, einer Röhre, die von der Stopfenöffnung zur Infusionsstelle verläuft, und einem in den Flüssigkeitsweg eingesetzten Durchflußregler, damit die Flüssigkeit mit vorgegebener Durchflußgeschwindigkeit aus der Blase zur Infusionsstelle fließen kann“ (z. B. EP 0172586 A1 – Medizinisches Infusionsgerät).

Ausschluss der Patentierbarkeit medizinischer Geräte bzw. Vorrichtungen, die einen chirurgischen oder therapeutischen Schritt als funktionelles Merkmal umfassen

Die Spezifizierung des zu patentierenden medizinischen Geräts bzw. der Vorrichtung durch funktionelle Merkmale zur Etablierung von Neuheit und erfinderischer Tätigkeit birgt allerdings die Gefahr, dass das erfindungsgemäße medizinische Gerät bzw. die Vorrichtung unter das Patentierungsverbot auf menschliche und tierische Behandlungs- und Diagnostikverfahren fällt und somit vom Patentschutz ausgeschlossen ist (siehe hierzu der erste Teil dieses Artikels).

Dies ist dann der Fall, wenn Verwendungs- bzw. Verfahrensmerkmale als funktionelle Merkmale in den Patentanspruch aufgenommen werden, die einen chirurgischen oder therapeutischen Behandlungsschritt am lebenden menschlichen oder tierischen Körper darstellen.

Dieser Ausweitung des Patentierungsverbots liegt die Überlegung zu Grunde, dass ein durch einen chirurgischen Verfahrensschritt definiertes medizinisches Gerät oder eine Vorrichtung ohne diesen gar nicht existieren kann bzw. herzustellen ist. Damit stellt der chirurgische Verfahrensschritt einen essenziellen Bestandteil der Erfindung dar.

Beispielsweise blieb einer Erfindung betreffend ein zweiteiliges Implantat zur Bildung eines Aorta-Durchgangs der Patentschutz verwehrt, da das Implantat durch gegenseitige Ausrichtung der beiden Teile im Körper definiert war. Die Beschwerdekammer des europäischen Patentamts (EPA) kam zu der Annahme, dass erst durch den chirurgischen Behandlungsschritt die Vorrichtung hergestellt und gemäß dem Patentanspruch charakterisiert werden kann. Da dieser für die Herstellung des Implantats essenzielle Behandlungsschritt dem Patentierungsverbot unterliegt, wurde gefolgert, dass das Implantat als solches vom Patentschutz auszuschließen ist.

Ein weiteres Beispiel betrifft eine Vorrichtung mit mindestens zwei Elektroden und einem Steuermittel zur Desynchronisation neuronaler Hirnaktivität. Die Vorrichtung war basierend auf der Wechselwirkung zwischen Steuermittel und Elektroden definiert. Dabei hängt die Wechselwirkung entscheidend von der jeweiligen Position der Elektroden nach der Implantation ab. Die Beschwerdekammer des EPA schlussfolgerte, dass die Vorrichtung vor der Implantation noch nicht so ausgebildet sein kann, dass die Wechselwirkung, die das erfinderische Merkmal darstellt, erfüllt ist. Folglich würde die Vorrichtung erst durch einen chirurgischen Behandlungsschritt final hergestellt, welcher dem Patentierungsverbot unterliegt.

Medizinische Geräte und Vorrichtungen ohne medizinischen Behandlungsschritt sind patentierbar

Die vorausgegangenen Beispiele dürfen jedoch nicht so verstanden werden, dass medizinische Geräte bzw. Vorrichtungen, die mit dem lebenden menschlichen oder tierischen Körper in Interaktion treten per se vom Patentschutz in Europa ausgeschlossen sind. Vielmehr muss bei der Beurteilung der Patentfähigkeit die Abwägung erfolgen, ob das Gerät bzw. die Vorrichtung überhaupt durch ein funktionelles Merkmal definiert werden muss bzw. das funktionelle Merkmal eine chirurgische Behandlung darstellt.

Beispielsweise wurde ein Patent auf eine Gelenkprothese erteilt, obwohl diese durch ein Merkmal in Bezug auf den Körper des Patienten definiert war. Hier wurde angenommen, dass die Gelenkprothese dieses funktionelle Merkmal bereits vor der Ausführung des therapeutischen oder chirurgischen Schrittes aufweist und somit die Prothese nicht erst durch den Behandlungsschritt hergestellt wird.

Fazit

Für medizinische Behandlungsverfahren am lebenden tierischen und menschlichen Körper besteht in Europa wie in vielen anderen Ländern, mit Ausnahme der USA, ein Patentierungsverbot, welches medizinische Geräte und Vorrichtungen einschließt, deren Herstellung ein solches Behandlungsverfahren bedingt.

Neuheit und erfinderische Tätigkeit einer medizinischen Vorrichtung bzw. eines Gerätes gegenüber dem Stand der Technik kann dennoch oftmals durch Bezugnahme auf die Verwendung der zu patentierenden technischen Lehre, d.h. durch die Aufnahme funktioneller Merkmale, erreicht werden.

Bei Ausarbeitung von Patentanmeldungen betreffend medizinische Geräte und Vorrichtungen ist besonders darauf zu achten, dass funktionelle Merkmale sich nicht auf Handlungen bei oder nach der Implantation beziehen, die als eine medizinische Behandlung am lebenden Körper ausgelegt werden könnten.

 

Autor:

Dr. Andreas Keymer

Anwalt für Deutsches und Europäisches Patentrecht bei

V.O. Patents & Trademarks

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